Eyewitness Hannah Saar, about Anwohner-Initiative Ernst-Thälmann-Park

Hannah is working as a production assistant at HAU Hebbel am Ufer. She attended LFEO at the weekly meeting of the residents initiative Anwohner-Initiative Ernst-Thälmann-Park.

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Lecture For Every One – Augenzeugentext, Hannah Saar

Ich hatte schon viel von Lecture For Every One gehört bevor ich „Augenzeugin“ wurde. Ich wusste worum es ging, kannte Teile des Texts, hatte schon von verschiedenen Reaktionen gehört. Und doch ist es dann nicht so, wie man es sich vorstellt, wahrscheinlich auch, weil es immer anders ist.

Der Beginn der Sitzung der Anwohner-Initiative Ernst-Thälmann-Park verschiebt sich, erst kommt niemand, dann doch ein paar. Mit zwanzig Minuten Verspätung betreten wir den Raum. Dieser befindet sich im dritten Stock mit vielen Fenster, einem schweren Wandregal und einem großen runden Tisch. Dort sitzen sieben Menschen, zwei davon sind anscheinend die Leiter der Sitzung. Die Gruppe ist klein und nicht wirklich homogen, zumindest lassen sich die Menschen, die sich in diesem Raum befinden, nicht auf Anhieb als Gruppe fassen. Die Stimmung ist unsicher und gedrückt. Als Mariel die ersten Worte an die Gruppe richtet, bemerke ich, dass die Fenster offen sind. Das Vogelgezwitscher von draußen bringt Unruhe in den Raum, nach und nach jedoch komme ich an und beginne die Leute zu beobachten. Einer der Zuhörer macht sich Notizen auf der Tagesordnungsliste, die – soweit ich das beurteilen kann – nichts mit der Lecture zu tun haben. Er wackelt mit dem Bein und streicht seine Notizen wieder durch. Es scheint, als wolle er die Worte abschirmen, als etwas Nebensächliches einordnen, das überstanden werden muss, bis die Sitzung wie gewohnt weiter gehen kann. Eine weitere Zuhörerin lauscht den Worten wie einer Predigt, ruhig und andachtsvoll, ein anderer sitzt zusammengekauert und erstarrt auf seinem Sitz, fast als wolle er sich auflösen. Wieder ein anderer lauscht mit Begeisterung und applaudiert zwischendurch, was in der sonst sehr angespannten Stimmung merkwürdig fehl am Platz zu sein schien, darum aber um so ehrlicher und herzlicher wirkt.

In dieser Lecture For Every One wird sehr deutlich, dass Gruppenidentität eine Fiktion ist. Manche Wörter klingen daher zu allgemein, zu glatt, sie verlassen den Raum ohne eine „Angriff“sfläche zu finden. Es gibt aber auch Momente – und das sind keine kollektiven Momente die man im Text markieren könnte, sondern solche die sich an ganz unterschiedlichen Stellen für Einzelne mit Bedeutung füllen – da merkt man: irgendetwas passiert hier. Die Zuschauer werden unfreiwillig mit Lecture For Every One konfrontiert und deren Wirkung entfaltet sich aus dem Zusammenprallen der vorgefertigten Worte mit dem einzelnen, unvorbereiteten Menschen. Das setzt den Einzelnen mit Sicherheit nicht nur in angenehme Beziehung zum eigenen Leben, bietet aber einen Raum, in dem man sich selber begegnen kann. Auf einmal macht es doppelt Sinn, dass Lecture For Every One unter der Programmreihe „Treffpunkte“ (Programm der Spielzeiteröffnung HAU Hebbel am Ufer, Oktober 2014) läuft.